Auf dem Arbeitsmarkt können Konzerne häufig durch ihre hohe Bekanntheit und Mitarbeiterbenefits punkten. Um sich im Wettbewerb um Mitarbeiter als Mittelständler dennoch gegen die großen Player durchsetzen zu können, gibt es Mittel und Wege. Eines dieser Beispiele ist die offene Kommunikation des zu erwartenden Gehalts.
Das Wichtigste in Kürze
- Wettbewerb: Unternehmen, die jetzt offene Gehaltsstrukturen etablieren, gewinnen an Attraktivität für Bewerber und setzen sich im Wettbewerbsumfeld ab.
- Effizienzsteigerung: Offene Gehaltstransparenz führt zu mehr Bewerbungen, besseren Einstellungen und spart Zeit bei der Bewerberauswahl.
- Gesetzeslage: Unternehmen werden durch die kommende EU-Richtlinie zur Lohntransparenz bald dazu verpflichtet sein, Gehälter offen zu kommunizieren.
Was bringt mir das als KMU?
Ich verstehe bis heute nicht, warum so viele Unternehmen nicht aktiver ihre Löhne und Gehälter offen kommunizieren. Gehaltstransparenz ist nachweislich ein riesiger Wettbewerbsvorteil auf dem Arbeitsmarkt. Denn viele, vor allem in der mittelständischen Industrie, tun es nicht. Wer also jetzt nicht damit anfängt, lässt sich den Vorteil entgehen, obwohl er in den kommenden Jahren ohnehin dazu gezwungen sein wird.
Was Gehaltstransparenz im Recruiting bringt
Denken wir doch mal an den potenziellen Bewerber: Was triggert ihn? Ganz klar: eine Gehaltsangabe. Immerhin geht niemand zum Spaß arbeiten. Geld spielt eine entscheidende Rolle im Leben und ist damit auch ein entscheidender Faktor bei der Jobsuche.
Maximale Transparenz wie bei Amazon
In meinen Workshops mit verschiedenen Unternehmen ziehe ich oft den Vergleich mit Amazon heran. Wenn wir ein Produkt online kaufen, erwarten wir maximale Transparenz vom Händler. Niemals würden wir etwas kaufen, ohne ein Bild davon zu sehen, ohne Informationen über die Qualität in Form von Referenzen und Kundenstimmen sowie zur Lieferzeit zu haben. Und ganz ehrlich ohne den konkreten Preis zu kennen, würde keiner von uns irgendetwas online genauer anschauen geschweige denn bestellen.
Auf der anderen Seite erwarten wir aber von Bewerbern, dass ihre Lebenszeit opfern, um nach neuen Jobs zu recherchieren. Auch sollen sie sich über die Firma schlaumachen und aufwendige Bewerbungen schreiben und am Ende zum Bewerbungsgespräch erscheinen, nur um dann festzustellen, dass man im Gehalt viel zu weit auseinander liegt. Das ergibt einfach keinen Sinn.
Zeit sparen und Ergebnisse verbessern
In unzähligen Kampagnen konnten wir klar feststellen, dass eine offene Gehaltstransparenz für mehr Klicks, Bewerbungen, Einstellungen und am Ende auch höhere Qualität von Bewerbungen sorgt. Aber nicht nur das. Gehaltstransparenz verhindert auch unnütze Bewerbungsgespräche für uns Unternehmer und die ohnehin in den meisten Unternehmen überarbeiteten HRler. Es spart also auf beiden Seiten Kapazitäten und Ressourcen, wenn wir als Unternehmen von Anfang an offen und transparent kommunizieren, so wie wir es uns ja gerne auf die Fahne schreiben. Denn was bringt es, wenn die Gehaltsvorstellungen so weit auseinanderliegen, dass am Ende klar ist: Das wird eh nix!?
Welche 0-8-15-Argumente sprechen dagegen?
Zwei Gegenargumente tauchen dabei immer auf. Der größte Angstfaktor ist der Wettbewerber, der dann sehen kann, welches Gehalt man bezahlt. Aber ganz ehrlich Leute, ein potenter Wettbewerber kann sich mit einem Taschenrechner sowieso grob ausrechnen, was wir in der Lage sind unseren Mitarbeitern zu bezahlen. Er kennt die Marktpreise, er kennt den Arbeitsmarkt und die Tarife zu den Fachkräften in dieser Branche arbeiten. Für mich stellt sich auch immer die Frage, was nützt es ihm denn, wenn er es weiß und welchen Schaden könnte er damit anrichten? Haben wir da als Unternehmer ernsthaft Angst, dass wenn der Wettbewerber 200 € mehr bezahlt und uns die Leute davon rennen? Dann haben wir aus meiner Sicht andere Probleme.
Klärt endlich eure Gehaltsstrukturen
Der zweite Punkt ist das Thema Gehaltsstruktur. Das haben viele Unternehmen gar nicht. Fünf Mitarbeiter machen den gleichen Job, haben die gleiche Qualifikation und Berufserfahrung, verdienen aber alle unterschiedlich, weil jeder Einzelne im Bewerbungsgespräch anders verhandelt hat. Auf der Karriereseite genau solche Unternehmen stehen dann oft tolle Floskeln wie „Wir bezahlen fair nach Leistung“. Tun sie aber nicht. Sie bezahlen individuell nach Verhandlungsleistung. Ginge es nach Leistung der Mitarbeiter, würden sie das gleiche Gehalt bezahlen und könnten das auch offen kommunizieren. Genau hier müssen wir als Unternehmen ansetzen, hier können wir uns einen wirklichen Wettbewerbsvorteil auch gegen die großen Konzerne verschaffen.
EU-Richtlinien: Gesetz zur Lohntransparenz kommt
Nach aktueller EU-Gesetzgebung werden wir als Arbeitgeber zukünftig dazu verpflichtet sein, Löhne und Gehälter offener zu kommunizieren. Die EU-Richtlinie (EU) 2023/970 zur Lohntransparenz muss in den EU-Ländern bis Juni 2026 umgesetzt sein. Hierbei geht es vorwiegend um das Thema Gender Pay Gap, also die geschlechtsspezifischen Lohngefälle, denen durch mehr Transparenz von Entgeltstrukturen und den entsprechenden Durchsetzungsmechanismen entgegengewirkt werden soll. Unternehmen werden hierbei unter anderem dazu verpflichtet, bei ausgeschriebenen Stellen zukünftig Gehälter transparenter anzugeben bzw. eine Gehalts-Range auszuschreiben. Das bedeutet: Spätestens im Jahr 2026 müssen sich Unternehmen in Deutschland mit dem Thema Lohn und Gehalt transparenten intensiver auseinandersetzen.
Wettbewerbsvorteil bis 2026 nutzen
Bis dahin ist die offene Angabe von Gehältern in Stellenangaben aber definitiv noch ein starker Wettbewerbsvorteil in einem völlig überhitzten Recruiting-Markt. Allerdings hat, wie beschrieben, dieser Wettbewerbsvorteil ein Ablaufdatum. Unternehmen haben noch maximal zwei Jahre Zeit, um ihn durch offene Kommunikation zu nutzen.